Handelsblatt – Wasserstoff als Klimaretter im Eigenheim? Was Experten sagen
Brennstoffzellen als Energiespeicher in Wohnhäusern gelten als zu ineffizient und zu teuer. Doch Forscher und Start-ups wollen Skeptiker widerlegen.
September 15, 2021
Köln Die Brennstoffzelle im Eigenheim ist für Zeyad Abul-Ella ein Schlüssel zur Energiewende. Als Geschäftsführer der Berliner HPS Home Power Solutions will er die Zweifler überzeugen. Gelingen soll das mit dem „Picea“ getauften Produkt. Es kombiniert Batterie, Elektrolyseur und Brennstoffzelle, um Solarstrom vom Dach lokal zu speichern. „Wir wollen das Haus in die Lage versetzen, sich 365 Tage mit eigenem Strom zu versorgen“, sagt Abul-Ella.
Die Techniken sollen in dem Hybridmodell ihre jeweiligen Stärken ausspielen: So nimmt die Batterie des Picea-Systems tagsüber erzeugte Sonnenenergie auf, um sie etwa nachts zur Verfügung zu stellen. „Die Batterie ist ein sehr guter Kurzzeitspeicher“, sagt Abul-Ella. „Doch sie ist vergleichsweise teuer.“ Ein zweites Problem sei die Selbstentladung.
Für die Langzeitspeicherung setzt HPS auf die Umwandlung in Wasserstoff: Überschüssigen Strom aus sonnenreichen Sommermonaten speichert HPS für den Winter in einem Tank als Wasserstoff, hergestellt von einem Elektrolyseur. „So schaffen wir eine sehr gute Leistungsreserve über einen längeren Zeitraum“, sagt Abul-Ella.
Über 100 Systeme habe das 2014 gegründete Unternehmen schon im Einsatz. Zwischen 70.000 und 100.000 Euro kostet die Installation, der Bund fördert diese mit rund 15.000 Euro. „Wir müssen Energie in der Zeit und im Raum verschieben, wenn wir eine klimaneutrale Versorgung wollen.“
Kann die Brennstoffzelle die Energiewende im Gebäudesektor auf Touren bringen? Experten sind skeptisch, dass ein Einsatz wirtschaftlich ist – und verweisen auf hohe Wirkungsgradverluste und effizientere Alternativen wie Wärmepumpen. Kleinanlagen seien vergleichsweise teuer. Wasserstoffpioniere im Wohnsektor dagegen wollen Hürden mit Innovationen überwinden – und so ein Umdenken erreichen.
Neue Lösungen sind wichtig für die Energiewende. Denn der Wohnsektor erweist sich beim Klimaschutz als träge, wie eine Analyse des Umweltbundesamts zeigt. Danach sanken in deutschen Haushalten die direkten CO2-Emissionen etwa durch das Verheizen von Öl oder Gas von 2005 bis 2018 um nur 1,7 Prozent auf 121,1 Millionen Tonnen. Indirekte Emissionen, die etwa durch die Stromerzeugung in Kraftwerken entstehen, sanken etwas stärker um 9,6 Prozent auf 85,8 Millionen Tonnen. Das aber ist zu langsam, um die von der Bundesregierung angestrebten Klimaziele zu erreichen.
„Kleinanlagen sind sehr teuer“
Wie könnte es schneller gehen? Mögliche Lösungen erforscht Detlef Stolten, als Leiter des Instituts für Elektrochemische Verfahrenstechnik am Forschungszentrum Jülich ein führender Brennstoffzellenexperte. Mit Computermodellen haben Stolten und Kollegen den gesamten deutschen Energiesektor nachgebildet – bis hin zur Photovoltaikanlage auf dem Einfamilienhaus. Ziel war ein kostenoptimiertes Gesamtsystem. Eine Erkenntnis: „Um die Klimagasreduktionsziele zu erreichen, ist eine CO2-freie Stromversorgung notwendig.“
Aber kann vor Ort produzierter Wasserstoff bei Wohngebäuden einen Beitrag leisten? Wissenschaftler Stolten gibt anderen Maßnahmen Vorrang. „Das Erste, was bei Häusern passieren muss, ist Isolierung“, sagt er. „Das Zweitgünstigste ist der Einbau einer Wärmepumpe.“
Mit Ökostrom betrieben sorgen diese Geräte für klimaschonendes Heizen. Erst dort, wo keine Wärmepumpe installiert werden könne, sieht Stolten Chancen für Wasserstoff: in engen historischen Altstädten beispielsweise. „Der Wasserstoff wird dann aber zunächst angeliefert und in Tanks gefüllt.“
Ob Ökostrom vom Dach künftig als Wasserstoff in einem Tank im Haus oder hausnah gespeichert wird, könne er „nicht zu 100 Prozent einschätzen“, sagt er: „Wir haben da keine validen Daten.“ Es gebe aber auch die Möglichkeit, Wasserstoff in das lokale Gasverteilnetz einzuspeisen. Dies erfordere dann jedoch die Umstellung des gesamten an die Versorgung angeschlossenen Wohnviertels.
Hohe Kosten sieht Jürgen Peterseim, Nachhaltigkeitsexperte der Wirtschaftsprüfung PwC, als Hemmnis für den Einsatz von Brennstoffzellen im Eigenheim. „Kleinanlagen sind spezifisch sehr teuer“, sagt er. Ein weiteres Problem: „Die Hälfte des Stromeinsatzes geht bei der Umwandlung zu Wasserstoff und der Rückumwandlung zu Strom oder Wärme verloren. Da ist es effizienter, direkt eine Wärmepumpe zum Heizen zu betreiben.
Und wenn schon eine Photovoltaikanlage vorhanden ist, ergibt gerade im Bereich kleinerer Gebäude die Installation einer Batterie Sinn.“ Bei historischen Gebäuden allerdings, die wegen des Denkmalschutzes nicht gedämmt werden dürfen, könne die Nutzung von Wasserstoff sinnvoll sein. „Aktuell erreichen Wärmepumpen die nötigen hohen Temperaturprofile hier nicht.“
Dezentrale Lösungen im Fokus
HPS-Geschäftsführer Abul-Ella allerdings will mit seiner Technik mehr als nur Lücken füllen. „Die Wärmepumpe ist kein Konkurrenzprodukt – sie ist ein super Gerät und ergibt in Kombination mit unserem Energiespeicher wirklich Sinn“, sagt er. Den Wirkungsgrad des Picea-Elektrolyseurs beziffert Abul-Ella auf 75 bis 80 Prozent. Die Brennstoffzelle komme auf 50 bis 60 Prozent. „Das kann man allerdings nicht einfach ausmultiplizieren“, sagt er.
Denn die Abwärme, die bei der Umwandlung entsteht, werde im Gebäude genutzt. „Sie wird ins Haus eingekoppelt – etwa zur Brauchwassererwärmung oder im Winter zur Unterstützung der Heizung.“ Zudem erhöhe die Prozesswärme den Wirkungsgrad von Wärmepumpen.
Der Bedarf an Strom werde enorm wachsen, weil dieser zunehmend auch für Autos und Heizungen benötigt werde, sagt Abul-Ella. „Wir werden die Energiewende ohne Speicher nicht schaffen.“ Deshalb sei lokal erzeugter Wasserstoff nützlich auf dem Weg zur Klimaneutralität. „Das Stromnetz kann keine Energie speichern. Wenn Erneuerbare den Bedarf nicht decken können, weil es dunkel ist oder Flaute herrscht, gehen die Kohlekraftwerke an.“ Dezentrale Wasserstoffspeicher könnten deshalb dazu beitragen, den Bedarf an Ökostrom dann zu decken. „Sie gleichen saisonale Verschiebungen von Erzeugung und Verbrauch aus.“
Auch Jan-Justus Schmidt will den Weg ebnen zur lokalen Produktion von grünem Wasserstoff, der also auf Ökostrom beruht. Der Gründer und Geschäftsführer des Start-ups Enapter hat sich der Massenproduktion von Elektrolyseuren verschrieben. „Die Gewinnung von Wasserstoff soll so günstig werden, dass dieser mit fossilen Brennstoffen konkurrieren kann“, sagt Schmidt.
Am Dienstag begann der Bau des 105 Millionen Euro teuren Enapter Campus im westfälischen Saerbeck. 10.000 Elektrolyseure im Monat will Enapter hier in der ersten Ausbaustufe fertigen. Der Preis pro Stück soll dann von derzeit 9000 Euro auf 2500 Euro fallen. „Mit diesen Kosten ist ein dezentraler Einsatz wirtschaftlich“, sagt Schmidt. Modularität soll helfen, Elektrolyseure rasch in der gewünschten Dimension zusammenzubauen. „Unser Vorbild sind hier die PC- oder die Photovoltaikindustrie.“
Strom wird im Quartier produziert
Verbaut werden die Enapter-Geräte unter anderem in den Picea-Lösungen von HPS. Einen Weltmarktanteil von zehn Prozent peilt Schmidt bis 2050 an. Neun Millionen Elektrolyseure pro Jahr müsse Enapter bis dahin im Schnitt verkaufen, um das Ziel zu erreichen. „Das ist ambitioniert“, sagt Schmidt. „Aber wir müssen ambitioniert sein, um die Energiewende zu schaffen.“ Auch den Einsatz in Einfamilienhäusern und Wohnquartieren hält Schmidt für breitflächig möglich. „Das ist immer dann sinnvoll, wenn der vor Ort produzierte Strom nicht direkt genutzt werden kann.“
In größerem Maßstab arbeitet der Wohnkonzern Vonovia am Thema. In der im Frühjahr eröffneten Energiezentrale der Zukunft (EZZ) in Bochum sind neben Wärmepumpe auch Elektrolyseur und Brennstoffzelle im Einsatz. „Strom aus erneuerbaren Energien soll auch Heizwärme erzeugen“, sagt Tobias Hofmann, Leiter Quartierssysteme bei Vonovia. Anliegende Gebäude und Haushalte würden zu mindestens 60 Prozent autark mit dezentral erzeugter CO2-freier Wärme versorgt.
„Ziel ist, fossile Energien zu ersetzen. Zum Beispiel durch grünen Wasserstoff.“ Der Strom werde im Quartier produziert. Zurzeit liefert die EZZ Energie für 81 Wohnungen – doch die Zahl könnte deutlich steigen. Man wolle Technologien evaluieren, „die wir ökonomisch und ökologisch in unsere rund 580 Quartiere verbauen wollen“, nennt Hofmann das Ziel.
Die Möglichkeiten der Ökostromproduktion für Eigenheimbesitzer erweitern will Fritz Unger, Geschäftsführer von Skywind Energy in Langenhagen. Dazu hat das Unternehmen eine Mikrowindanlage entwickelt. Diese liefert schon in entlegenen Regionen des Himalajas und Patagoniens Energie. Die Mehrzahl der über 5000 verkauften Geräte befindet sich laut Unger aber auf den Dächern von Eigenheimen, gerne kombiniert mit einer Solaranlage. „Unser Absatz verdoppelt sich derzeit jährlich“, sagt Unger.
Die Skywind-Anlagen messen weniger als zwei Quadratmeter. Knapp 3000 Euro kosten sie samt Wechselrichter und Sturmabschaltung. „Unsere Technik lässt sich in alle Speicherkonzepte einbinden – egal ob Wasserstoff oder Batterie“, sagt Unger. „Hausbesitzer können mit eigenem Windrad, Photovoltaik und Speichersystem locker 90 Prozent Autarkie erreichen – und entlasten so auch das Stromnetz.“
Mit Miniwindrädern Wasserstoff für den Eigenbedarf produzieren – dafür hat das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung im Mai eine neue Lösung angekündigt. Die Basis bilden „effiziente Rotoren und sichere Tanks“, die aus Faserverbundstoffen gefertigt werden. Ein kleiner Elektrolyseur soll vor Ort Wasserstoff aus dem Ökostrom produzieren – eine Brennstoffzelle wandelt diesen bei Bedarf in Strom oder Wärme um. Die Rotorblätter sind nach Angaben der Forscher biegbar und trotzen so auch starkem Wind. Die Fertigung gelingt bereits höchst effizient – per 3D-Drucker.
Geschrieben von Thomas Mersch
Originalartikel hier